Digibus® Austria Vorgehensmodell für den Betrieb von automatisierten Shuttles
Im österreichischen Leitprojekt Digibus® Austria wurde ein detailliertes Vorgehensmodell erarbeitet, das potenzielle BetreiberInnen von automatisierten Shuttles Schritt für Schritt von der Planung bis zum Betrieb von selbstfahrenden Shuttles führt, um einen sicheren und zuverlässigen Betrieb von automatisierten Shuttles auf öffentlichen Straßen zu planen und durchzuführen.
Wenn Sie eine Phase anklicken, bekommen Sie nähere Informationen zu den einzelnen Aktivitäten:
Im Leitprojekt Digibus® Austria wurden als Testfahrzeuge automatisierte Shuttles des französischen Herstellers EasyMile eingesetzt. Das vorgeschlagene Prozessmodell wurde daher unter Berücksichtigung der proprietäre Prozesse von EasyMile sowie durch Verallgemeinerung von Erkenntnissen aus einzelnen Shuttle-Versuchen entwickelt. Im Vorgehensmodell werden die folgenden Aspekte berücksichtigt:
Komponenten: Shuttle, Mobilitätsangebot, physische und digitale Infrastruktur, Bewilligungen
Aktivitäten: Das Modell ist in fünf Phasen gegliedert und sieht insgesamt neun Hauptaktivitäten innerhalb dieser Phasen vor. Die Aktivitäten werden unterstehend im Detail beschrieben.
Entscheidungen: Nach jeder Phase gibt es einen Entscheidungspunkt, an dem bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssen, um mit den weiteren Aktivitäten fortfahren zu können. Entscheidungen können zu einem Stopp des Gesamtprozesses führen, z. B. wenn eine Prüfung während des Prozesses fehlschlägt oder Entscheidungen können die darauffolgenden Aktivitäten beeinflussen.
Phase I: Start (2-4 Monate)
Machbarkeitsprüfung (1 Monat)
Die erste Aktivität in der Startphase zielt auf die Überprüfung der allgemeinen Durchführbarkeit des Pilotversuchs mit folgenden Teilaktivitäten ab:
Mobilitätsdienst: Definition des geplanten Mobilitätsdienstes (Betriebsart, Betriebszeiten, Bedarf und Verfügbarkeit von Betriebspersonal)
Zusagen: Einholen von grundsätzlichen Zusagen aller relevanten Akteure/-innen (Verkehrsbetreiber/-innen, Verkehrsverbund, Bund, Land, Stadt oder Gemeinde)
Prüfung der Infrastruktur: Durchführung einer ersten Überprüfung der vorhandenen physischen und digitalen Infrastruktur (private oder öffentliche Straße, Routenoptionen, physische und digitale Einschränkungen, Park- und Ladeeinrichtungen)
Shuttles am Markt: Analyse des Shuttles-Markts, basierend auf den Anforderungen an das Shuttle
Shuttle-Verfügbarkeit/-Kosten: Prüfung der Fahrzeugverfügbarkeit und Kosten der in Frage kommenden Shuttles
Prüfung Genehmigungen: Überprüfen, ob und welche Genehmigungen (z. B. Prüfung bei Behörden) für den geplanten Shuttle-Betrieb erforderlich sind
Diese Aktivität endet mit einer Machbarkeitsabschätzung und der Entscheidung, ob man mit der Detailplanung für den Pilotversuch fortfahren kann oder ob der Prozess an dieser Stelle abzubrechen ist. Diese Aktivität sollte innerhalb eines Monats abgeschlossen sein.
Pilot machbar?
Planung (1-3 Monate)
Bei einer positiven Durchführbarkeitsentscheidung besteht die zweite Aktivität in der Startphase in der sorgfältigen Planung des Pilotversuchs. Diese Aktivität setzt sich aus den folgenden Teilaktivitäten zusammen:
Pilotplan: Definition eines detaillierten Plans für den Pilotversuch einschließlich eines Zeitplans mit Meilensteinen
Verantwortlichkeiten: Festlegung von Verantwortlichkeiten
Rahmenbedingungen Überprüfung der Rahmenbedingungen und möglicher Einschränkungen, die für den Pilotversuch hinderlich sein könnten (Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit der Pilotversuch erfolgreich durchgeführt werden kann?)
Kostenschätzungen: Detaillierte Kostenabschätzung der einmaligen sowie laufenden Investitions- und Betriebskosten
Risikominimierung: Erstellung eines Risikoplans inklusive Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Entschäfrung dieser Risiken (z. B. welche Risiken bestehen während der Planung und Durchführung des Versuchs und wie können diese Risiken entschärft werden)
Vertrag für die Durchführung des Pilotversuchs Aufsetzen und unterzeichen eines Vertrags für die Durchführung des Pilotversuchs (z.B. zwischen dem Koordinatior des Pilotbetriebs und der finanzierenden Stelle).
Diese Aktivität endet mit einem gründlichen Plan und einem unterzeichneten Vertrag für die Durchführung des Pilotversuchs und kann in der Regel innerhalb von 1 bis 3 Monaten durchgeführt werden.
Pilot genehmigt und Vertrag unterzeichnet?
Phase II: Vorbereitung (3-12 Monate)
Risikobewertung (1-3 Monate)
Nach der Vertragsunterzeichnung kann die Vorbereitungsphase beginnen. Die erste Aktivität der Vorbereitungsphase ist eine gründliche Risikobeurteilung. Diese Aktivität ist auch ein Ankerpunkt für das Einsetzen von standardisierten Risikobewertungsmodellen. Diese Aktivität kann in die folgenden Teilaktivitäten aufgeteilt werden:
Anwenden eines Risikobewertungsverfahrens: möglichst nach einer standardisierten Bewertungsmethodik
Einholung von externen Gutachten: wenn der Auftragnehmer nicht über das Fachwissen verfügt oder wenn von den nationalen oder regionalen Behörden gefordert
Simulation von Fahrmanövern an risikoreichen Streckenabschnitten, um das Risiko weiter zu bewerten und, wenn erforderlich, geeignete Maßnahmen zur Vermeidung oder Entschärfung des Risikos zu entwickeln.
Erstellung eines Risikobewertungsberichts, der den erwarteten Schweregrad und die Wahrscheinlichkeit des Eintretens der Risiken enthält, ebenso wie definierte Maßnahmen zur Risikovermeidung- oder entschärfung.
Diese Aktivität endet mit einem Risikobewertungsbericht. Je nach Komplexität der Strecke dauert diese Tätigkeit 1 bis 3 Monate.
Risiko akzeptabel?
Vorbereitung (2-9 Monate)
Nach einer positiven Risikobeurteilung befasst sich die nächste Aktivität mit der Vorbereitung des Pilotversuchs. Diese Aktivität besteht aus den folgenden Teilaktivitäten:
Einholen der notwendigen Genehmigungen von den zuständigen Behörden: z.B. Testlizenz, Fahrzeuggenehmigung oder Ausnahmen von bestimmten Vorschriften, Genehmigungen zur Nutzung der Park- und Ladeinfrastruktur
Shuttle-Beschaffung: einschließlich Ausschreibung, Vertragsabschluss, Lieferung und Abschluss einer Versicherung
Definition des geplanten Mobilitätsangebots: einschließlich der Erarbeitung von Fahrplänen, Fahrgastinformationen, Fahrgastinteraktionen und Notfallplänen
Bürgerdialog und Öffentlichkeitsarbeit: Initiierung eines Bürger-/innendialogs zum geplanten Mobilitäsangebot sowie Information der Öffentlichkeit
Diese Aktivität endet mit der Bestätigung, dass alle notwendigen Genehmigungen für die Fortsetzung des Prozesses vorliegen. Je nach nationalen oder regionalen Bestimmungen kann diese Aktivität 2-9 Monate dauern.
Genehmigung erteilt?
Phase III: Einrichtung (1-2 Monate)
Einrichtung der Testrecke und des Shuttles (1-2 Monate)
Die dritte Phase zielt darauf ab, das Shuttle-Service auf der ausgewählten Strecke einzurichten. Das umfasst die folgenden vier Teilaktivitäten:
Anpassungen der physischen Infrastruktur: falls erforderlich, abhängig von den Ergebnissen der Risikobewertung
Einrichtung der digitalen Infrastruktur: Bereitstellung einer hochauflösenden Karte; mobiles Netzwerk, RTK-Abonnements sowei V2X-Kommunikation einrichten und bereitstellen
Einrichtung des Shuttles: z. B. Fahrspuren einprogrammieren, Fahrparameter definieren, Fahrgastinformationen einprogrammieren (z.B. Durchsagen im Shuttle, Inforamtionen auf Displays im Shuttle)
Integration des Shuttles in das öffentliche Verkehrssystem: z. B. Fahrgastinformation im Shuttle und an den Stationen, Fahrplanauskunft, Buchung, Ticketing, Fahrzeugüberwachung über eine Leitstelle umsetzen
Am Ende dieser Aktivität ist das Shuttle einsatzbereit und das Mobilitätsangebot eingerichtet. Diese Aktivität kann in der Regel in einem Monat durchgeführtwerden.
Einrichtung erfolgreich?
Validierung und Zulassung
Die Aktivität der Einrichtung des Shutllte-Angebots sollte durch eine Validierung und Zulassung der zuständigen Behörde(n) abgeschlossen werden.
Aktuell wird diese Aktivität oft übersprungen oder hat informellen Charakter, da offizielle Validierungs- und Genehmigungsverfahren für autonome Shuttles noch nicht vorhanden sind. Einige Länder haben ihre eigenen Zulassungsverfahren entwickelt, die aber noch nicht standardisiert sind.
In Zukunft, sobald anerkannte Validierungs- und Zulassungsverfahren existieren, dient diese Aktivität als Ankerpunkt, um die entsprechenden Validierungs- und Zulassungsverfahren durchzuführen. Eine Kombination mit der Erteilung einer Test- oder Betriebsgenehmigung kann ins Auge gefasst werden.
Derzeit kann diese Aktivität innerhalb eines Tages abgeschlossen werden. In der Zukunft kann sie jedoch, abhängig von anspruchsvolleren Validierungs- und Genehmigungsverfahren, länger dauern.
Pilotversuch freigegeben?
Phase IV: Betrieb (Pilotphase)
Die folgenen Aktivitäten müssen vom Shuttle-Operator (solange ein Operator im Shuttle sein muss) oder vom Fernüberwachungs-Team (wenn der Shuttle von einem Leitstand aus überacht wird) währende der Betriebsphas des automatisierten Shuttles täglich ausgeführt werden. Die Betriebsaktivität gliedert sich in drei Teilaktivitäten:
Vor dem Betrieb
Vor dem Betrieb:
Überprüfung der Umgebungsbedingungen, wie z. B. Wetterbedingungen
Fahren des Shuttles vom Parkplatz zum Startpunkt
Überprüfung der Betriebssicherheit des Shuttles
Durchführung einer Testfahrt im autonomen Modus
Bestätigung der Betriebsbereitschaft
Betrieb sicher?
Während des Betriebs
Während des Betriebs:
Ausführung des geplanten Dienstes im autonomen Modus
Übernahme der manuellen Steuerung, wenn es erforderlich ist (z.B. wenn ein Hindernis umfahren werden muss)
Bereitstellung von Fahrgastinformationen
Beantwortung von Fahrgastanfragen
Überwachung von Fahrzeugzustand und Fahrdaten
Management von unerwarteten Ereignissen und Notfällen
Betrieb noch sicher? Betrieb fortsetzen?
Nach dem Betrieb
Nach dem Betrieb
Zurückfahren des Shuttles in die Garage
Starten des Ladevorgangs
Dokumentation zum Betrieb ausfüllen
Einleiten bzw. durchführen der Reinigung und Wartung
Vor dem Betrieb des Shuttles mit Fahrgästen muss für jeden Betriebstag entschieden werden, ob ein sicherer Betrieb unter Berücksichtigung der Auflagen und der Betriebssicherheit des Shuttles möglich ist.
Diese Rahmenbedingungen müssen während der gesamten Betriebsphase eingehalten werden, andernfalls muss der Betrieb umgehend abgebrochen werden.
Betrieb noch sicher? Betrieb fortsetzen?
Phase V: Evaluierung (2-3 Monate)
Datenanalyse (1-2 Monate)
Analyse der Fahrdaten
Anlayse der Daten der Operatorbefragung
Analyse der Daten der Fahrgastbefragung
Bewertung der physischen und digitalen Infrastruktur
Anaylse des Mobilitätsangebots
Berichtslegung (1 Monat)
Erstellung Evaluationsbericht
Präsentation der Ergebnisse
Für die Evaluierung des Pilotversuchs mit einem automatisierten Shuttle sollten zwei bis drei Monate veranschlagt werden.
Das Vorgehensmodell wurde auch in einem Paper beschrieben:
Rehrl, K., Piribauer, T., Schwieger, K., Sedlacek, N., & Weissensteiner, P. (2020). Towards a uniform process model for deploying and operating autonomous shuttles on public roads. Presented at the Virtual ITS European Congress 2020, Zenodo http://doi.org/10.5281/zenodo.4322876 Anmerkung: in dem im Paper beschriebenen Vorgehensmodell wurde Phase 5 noch nicht berücksichtigt, diese wurde erst zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügt.
Die Grafik des Referenzmodells steh hier auf Deutsch und Englisch zum Download zur Verfügung.